12 Feb 2012 - 16:00

Kath. Pfarrkirche St. Martin Jettingen

Konzertkritik von Helmut Kircher in der Günzburger Zeitung
Doppeljubiläum – Weltentrückt und opernhaft Die camerata vocale Günzburg feiert mit einem Benefizkonzert J. E. Eberlin und sich selbst. Wiederaufführung eines 250 Jahre alten Stückes
Foto: Helmut Kircher

Jettingen. Zwar gehört auch er zum Kreis jener Persönlichkeiten, deren vornehmlich nur an runden Geburts- oder Todestagen gedacht wird. Aber immerhin gedacht wird. Johann Ernst Eberlin (1702-1762), geboren in Jettingen, in der erzbischöflichen Residenzstadt Salzburg als Komponist, Organist und Domkapellmeister zu „Titular-Truchsess“-Ehren gekommen und zu einer der bedeutendsten Komponistenpersönlichkeiten der Vor-Mozart-Ära avanciert. Genauso schnell, wie er emporstieg, wurde er jedoch von der Nachwelt vergessen.
Doch er hatte Glück. Glück, dass es in Jettingen einen Chorleiter Karl König gibt, der ihn unter dem Archivstaub der Jahrhunderte wiederentdeckte. Dass das im Dunkeln Vergilbte von Jochen Reutter und Beatrice von Volckamer wissenschaftlich aufbereitet, vom Günzburger Chor camerata vocale und seinem stimmakribisch waltenden Leiter Jürgen Rettenmaier der Öffentlichkeit wieder hörbar gemacht wurde.
Grund genug also für den in Sachen Eberlin unermüdlich tätigen Chor, den Komponisten im Jahr seines 250. Todestages mit den Feiern zum eigenen 25-jährigen Bestehen in Einklang zu bringen, beginnend mit einem Benefizkonzert zugunsten des Klosters Wettenhausen, in dem der Sängerschar seit Langem zu Proben und Aufführungen Heimstatt gewährt wird.
„Mit Eberlin durchs Kirchenjahr“ also, in der Jettinger Pfarrkirche St. Martin, in der Johann Ernst getauft wurde, nach seiner Geburt „im Oberamtshaus gleich neben der Kirche“ (Bürgermeister Hans Reichart). Auf dem Programm: Geistliche, liturgische Andachtsmusik zu Advent, Passion, Ostern, Pfingsten. Beileibe aber keine klingende Metaphysik, sondern eine klangbeseelte Stunde, die auf musikalisch gelebte Traditionen des Spätbarock eingeht, geprägt von den besonderen Stilelementen Eberlins.
Wo immer möglich hellt sich, wie im Magnificat oder Te Deum, der Klang auf, eingeleitet und umrahmt von nuancenreich zupackender Dynamik jugendlicher Geiger, von leuchtkräftiger Klangfülle paukenverstärkter Bläserbravour. Nein, hier klagt keine verletzte Seele in der Einsamkeit. Hier finden sich Jubel und Trost, instrumentale Spielfreude und vokale Energie zum himmelwärts strömenden Pas de deux zusammen. Weltentrückt und opernhaft.

Kein Wunder, dass das Junggenie Wolfgang Amadé Mozart sich zu solch fülliger, von dramatischer Farbigkeit geprägter Melodik hingezogen fühlte und von dessen Schöpfer willig beeinflussen ließ. Dass Rettenmaier seinen Vokalisten akribisch ausgeformte, fragile Schwebezustände nebst polyfon durchgestylter Fugenfähigkeit und ausgefeilter Durchhörbarkeit in allen Stimmlagen abverlangt, ist Standard, und viel gelobt. Dass aber ein Gutteil der Einzelstimmen auch mit Solistenbefähigung ausgestattet ist – und diese fast im Dauereinsatz unter Beweis stellen musste – erstaunt. Vor allem deshalb, weil im chorischen Zusammenklang diese sich zu einer harmonisch makellosen Sprachmelodie zusammenfinden, ohne jegliches Imponiergehabe.

In nahezu all den doppelchörigen und vierstimmigen Motetten und Psalmen, vor allem aber im sechsteiligen Requiem Nr. 5 in f-Moll – nach zweieinhalb Jahrhunderten erstmals wieder aufgeführt – zu hören, mit ständig wechselnden Soli-Dialogen, mit raffinierten Melismenbewegungen und sanglichem Schmelz, die deutlich ausgeprägten Singspielcharakter zeigen. Und vielleicht auf Eberlins Fähigkeit als Opernkomponist verweisen. Wäre inständig zu hoffen, dass eines dieser Bühnenwerke im hundertjährigen Archivschlaf, seinem Erlösungskuss entgegenschlummert.
Der lang anhaltende Beifall in der nahezu voll besetzten Jettinger Pfarrkirche möge dazu beigetragen haben.

Konzertinformationen:

Sonntag, 12. Februar 2012, 16 Uhr

EINTRITT FREI – UM SPENDEN ZUGUNSTEN DER STIFTUNG DER DOMINIKANERINNEN IN WETTENHAUSEN WIRD GEBETEN

Mit Salzburger Festmusik von Johann Ernst Eberlin durch das Kirchenjahr

Mitwirkende:
Chor, Solisten und Orchester der camerata vocale Günzburg

Leitung:
Jürgen Rettenmaier

Im Jahre 2012 feiern wir sowohl das 25-jähriges Bestehen der camerata vocale Günzburg als auch das 250. Todesjahr des aus Jettingen stammenden Komponisten Johann Ernst Eberlin (1702-1762), Weggefährte und Freund der Familie Leopold Mozarts, in Kremsmünster und am Salzburger Dom als Domkapellmeister wirkend.

Mit der Musik Eberlins beschäftigt sich die camerata vocale schon seit vielen Jahren. Bereits im Jahre 2002 zu Eberlins 300. Geburtsjahr veröffentliche die camerata vocale als Weltersteinspielung in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk beim renommierten Carus-Verlag Stuttgart Eberlins Requiem Nr. 8 in C-Dur und die Messe Nr. 34 in C-Dur.
Bereits im Jahr 1995 überließ uns unser künstlerischer Berater Dr. Jochen Reutter, Wien, die aus der Handschriften rekonstruierte moderne Partitur der „Missa a due chori“ in C-Dur, welche wir als Wiederaufführung im 20. Jahrhundert zusammen mit dem Bayerischen Rundfunk und dem Carus-Verlag Stuttgart ebenfalls als Weltersteinspielung zur Aufführung brachten und die als CD in der Musik-Fachwelt mit Bewunderung und Anerkennung aufgenommen wurde.

Im Rahmen eines festlichen Konzerts mit Te Deum, Magnificat und weiteren selten zu hörenden Werken wird erstmalig in unserer Zeit aus den über 800 überlieferten Werken Eberlins das Requiem in f-Moll wieder erklingen, als Aufführungsmaterial speziell zu diesem Anlass neu erstellt auf Grundlage der Vorarbeit der Musikwissenschaftlerin Dr. Beatrice Ebel, deren musikalischer Nachlass der camerata vocale Günzburg anvertraut wurde.

Freuen Sie sich mit uns auf feierliche und meditative Barockmusik aus dem Salzburger Dom, welche in W. A. Mozarts Jugendjahren erklingend dessen kompositorischen Stil mitprägte, aus einem der sehr kurzen Augenblicke der Musikgeschichte, in welchem weltliche und geistliche Musik einträchtig die gleiche Sprache sprachen.