28 Mai 2005 - 19:30

Liebfrauenkirche Günzburg

Konzertkritik von Helmut Kircher in der Augsburger Allgemeine (Lokalteil Günzburg) vom 30. Mai 2005:

Ein Musik-Ereignis der Extraklasse – camerata vocale brilliert mit Monteverdis „Marienvesper“

2005_05_28 Marienvesper, Liebfrauenkirche Günzburg

Eine Leistungsschau musikalischer Kompe­tenz, so in etwa ließe sich umschreiben, was das Langzeitfestival „Musikalischer Früh­ling im schwäbischen Barockwinkel“ in die regionale Musikkultur einbringt, was die verschiedenen Chor- und Instrumentalgrup­pierungen durch gegenseitiges Animieren, Inspirieren und (nicht zuletzt) Konkurrieren auf einen Leistungsstand hebt, der seines­gleichen sucht. Letztens Beispiel: die camerata vocale Günzburg, die mit Claudio Monteverdis „Marienvesper“ dem als „Perle des Barock“ bezeichneten Veranstaltungsort, der Günzburger Liebfrauenkirche also, noch eine Perle der musikalischen Klang­sprache hinzufügte.
Jedoch ist die Veranstaltungsreihe noch nicht beendet und deshalb mit Bestimmtheit anzunehmen, dass die beiden letzten dieser hochkarätigen Konzerte ihre Art Perlen gleichfalls noch einzubringen suchen. Nun also ist – soweit bekannt, war sie hier noch nie zu hören – die regionale „Uraufführung“ von Monteverdis Marienvesper vollzogen. Die Verdienste des als Musikerneuerers geltenden ita­lienischen Komponisten (1567 – 1643) sieht die Musikwelt weni­ger in seinem kirchenmusikalischen Schaffen begründet, vielmehr gilt er als maßgeblicher Schöpfer und eigentlicher Weg­bereiter der italienischen Oper. Ihr gewaltiger Aufschwung an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert zehrte noch von dem, was Monteverdi einst in Bewegung ge­bracht hat. Natürlich aber lässt sich die Bunt­heit weltlicher Musik auch in seiner geistli­chen erkennen. Natürlich auch in der Marienvesper, in ihren Motetten, Psalmen und vor allem der eingeflochtenen Sentenzen aus dem „Hohen Lied“. Man stelle sich vor: Liebeslyrik inmitten weihevoller Kirchenmusik, Verse von verzeh render Sehnsucht und leiblichem Verlangen durchbrechen die archaischen Regeln liturgischer Strenge, die geheiligte Tradition gelten­der Kompositionsregeln.
Schmerz und Hingabe
Zu damaliger Zeit eine radikale Neuerung von geradezu revolutionärer Tragweite. Und doch ist es gerade diese Mischung aus Tradi­tionellem und Modernem die den Zuhörer in ihren Bann schlägt, die ihn auf eine spannen­de Entdeckungsreise in schwerelose, von un­endlichem Schmerz und lustvoller Hingabe durchflutete KIangwelten entführt. Vor allem dann, wenn man die Fähigkeit hat sie so zu kreieren, wie Jürgen Rettenmaier das kann. Das ist die eine Leidenschaft des Chorlei­ters: den Raum akustisch dermaßen zu durch­leuchten, ihn durch ständige Positionsverän­derung von Vokalisten und Instrumentalisten klanglich so zu integrieren, dass aus Raum und Klang eine gerade­zu magische Einheit wird. Wenn dann auch noch die Abendsonne die üppige Pracht des Altarba­rocks ins rechte Licht zu rücken vermag, dann ist dies absolut das i-Tüpfelchen am vollendeten Ge­samteindruck. Dann wirkt der männlich markante Koloraturzauber im „Duo Seraphim“ der Tenöre (Hermann Oswald, Hubert Nettinger, Franz Schweizer), zusam­men mit Bassbariton (Thomas Hamberger), noch eine Spur entfesselter, dann strahlen die Soprane (Gerlinde Sämann, Sabine Lutzenberger, Annemarie Bader) noch zarter, leuch­tender, silberner und wächst die chorische Präsenz, die lupenreine Intonationssicherheit, die vokal geschmeidige Eleganz der camerata noch um einiges über sich hinaus. In der Vielfalt der Gefühle lässt Rettenmaier kein emotionales, kein gestalterisches, kein räumliches aus. Detailverliebt, geradezu peni­bel, mischt er die Klangfarben, formuliert Zu­sammenhänge, platziert Akzente. Denn es gibt da auch noch die andere Seite seiner Lei­denschaft, und die heißt Authentizität. Und dafür steht der Name „La Banda“. Ein Orchester, das mit der camerata nicht zum ersten Mal in Erscheinung tritt, gibt es doch nur wenige die sich mit historischen In­strumenten auf die Spielweise von Renaissance und Barock spezialisiert haben. Neben gebräuchlichen Instrumenten wie Violine oder Posaune, sind es Chitarrone, Dulzian und insbesondere die Zinken (leicht geboge­nes Holzblasinstrument) die mit artistisch fu­riosen – an Trompetenfeuerwerk erinnernde – Passagen das orchestrale Kolorit beherrschen. Was an der Klanggebung des Gesamtorches­ters bemerkenswert ist, ist sein ungemein war­mer, sonorer, dezent unaufdringlicher Ton und das Vermeiden jeglicher tremolierender Farben. Die Substanz aller zu musikalischem Gebo­te stehender Möglichkeiten kommt im abschließenden Magnificat zum Tragen. Zwei Violinen verlieren sich in einer göttlich schö­nen Melodie, in lichter, bravouröser Leichtig­keit gesellen sich die beiden Zinkenbläser dazu, behutsam, mit wunderbar verdunkelter Klangaura bringen sich, in polyphonem Glanz, mit Koloratur- und Echoeffekt, die Gesangssolisten ein, mit schwärmerischer Inner­lichkeit setzt der Chor sein vokales Profil da­rüber und es endet in einem herzbewegend prachtvollen Schluss-Amen. Langanhaltender Beifall, Blumen, Bravos, standing ovations. Ein Musikereignis, nahe an der Grenze zur Sternstunde.