19 Mai 2012 - 19:30

Ehemalige Synagoge Ichenhausen


 
Konzertkritik von Emil Neuhäusler in der Augsburger Allgemeinen (Lokalteil Günzburg) vom 22. Mai 2012: Die Freude des gelebten Moments
Ruth Atzinger und die Band Projecto Sul begeistern mit dem Fado in der ehemalige Synagoge

Ein Ensemble, das mit Musik aus Portugal und Brasilien begeisterte: (von links) Sebastian Kutscher, Ruth Atzinger, Stefan Müller und, auf dem Cayon sitzend, Martin Prötzel. (Foto: Emil Neuhäusler)
 
Ichenhausen. In der ehemaligen Synagoge in Ichenhausen drehte sich am Samstagabend (fast) alles um den „Fado“. Einige der 100 Zuhörer werden diesen portugiesischen Musikstil bis dahin nicht gekannt haben. Doch das Konzert von Ruth Atzinger mit der Band „Projecto Sul“ war, um beim Motto der 25-Jahr-Feier der camerata vocale Günzburg zu bleiben, in dessen Rahmen das Konzert stattfand, nicht nur „total genial vocal“, sondern dazu noch „total genial instrumental“. Die Begeisterung über die portugiesischen und brasilianischen Liebes- und Schicksalslieder (fado, fatum = Schicksal) kannte am Schluss keine Grenzen.

Die Texte dieser Lieder handeln meist von Liebe, Sehnsucht und schicksalhaften Ereignissen. Die ge-bürtige Wettenhauserin Ruth Atzinger, die am königlichen Konservatorium in Den Haag Jazzgesang studierte, kam zum Fado über eine CD, die ihr die Eltern aus dem Urlaub in Portugal mitgebracht hatten. Diese Musik faszinierte Atzinger und motivierte sie zum Erlernen der portugiesischen Sprache.

Instrumental begleitet wurde die Solistin von drei Profimusikern, Sebastian Kutscher (Gitarre), Stefan Müller (Kontrabass) und Martin Prötzel (Percussion), der mit Cajon, Udu-Tontrommel, Duvabuca, Oceandrum und Shakes an den Füßen jede Stimmung in Rhythmus umsetzte. Mit Unterstützung dieser exzellenten Instrumentalisten gelang es der Solistin Atzinger eindrucksvoll die beiden Pole, die angeblich Südländer vor allem kennzeichnen, Melancholie und die Freude des gelebten Moments, lebendig werden zu lassen.
Südländisches Lebensgefühl
Aus Portugal und Brasilien stammten die vorgetragenen Lieder. Die Menschen dieser Länder verbinden die gemeinsame Sprache und die rhythmisch betonte Musik. Ruth Atzinger erschloss den Zuhörern das südländische Lebensgefühl mit ihrer Stimme und mit ihrem Charme, auswendig und in portugiesischer Sprache. Es konnte also nicht der Inhalt der Lieder sein, die die Zuhörer immer wieder zu Applaus und Bravorufen hinrissen, es war ausschließlich Musik, Rhythmus und Stimme.

Was war das Gewinnende an Ruth Atzinger? Sie besitzt eine wohlklingende Stimme, tief und voll. Sie beherrscht sie, kann mit ihr gestalten, kann freudige und triste Gefühle in sie hineinlegen, kann sie still weinen und vehement laut aufseufzen lassen. Dabei sprüht sie voll Energie und verstärkt die Eindrücke mit natürlicher Mimik und Gestik. Die Sängerin identifiziert sich mit dem, was sie ausdrücken möchte, vor allem mit einem Leben in Leichtigkeit und Freude. Und so wird ihr Gesang besonders schön, wenn ihre Stimme in schnellen Bolero- oder Flamencorhythmen gleich einer Mandoline ins Schwingen kommt. In Liedern wie „O gente daminha terra“, „Barco Negro“ oder „Madalena“ „tanzt“ sie leichtfüßig im Regen, betrachtet als Schwalbe von oben Liebende und begleitet Frauen ans Ufer des Meeres, wenn sie Abschied von den Männern nehmen, die zum Fischen aufs gefährliche Meer hinausfahren. Es wird so glaubhaft, was sie in „Loucura“ ausdrückt: „Mein Herz gehört dem Fado, ich lebe ein gesungenes Gedicht!“.

Im Gegensatz zur portugiesischen Musik, wo fast allein die Stimme der Solistin gestaltend wirkt, drängen sich bei den brasilianischen Songs die Instrumente nach vorne und Gitarre, Bass und Percussion machen Tausende Füße hörbar, die sich Samba und Salsa tanzend durch die engen Straßen Rios drängen.

Für Ruth Atzinger bedeutete der Auftritt in der Synagoge gleichzeitig ein „Heimspiel“. Sie sang vor Freunden, ehemaligen Chor- und Ensemblekollegen und Lehrern des St.-Thomas-Gymnasiums Wettenhausen und knüpfte zu diesen immer wieder Kontakt mit Rückblicken auf gemeinsam Erlebtes. Bei zwei Liedern durften die Zuhörer sogar aktiv mitwirken. Das kam hervorragend an und sicher würden alle 100 Zuhörer erneut zur Stelle sein, wenn die in München lebende und arbeitende Sängerin und Gesangslehrerin Ruth Atzinger mit ihrem zweiten Programm, „Lieder aus den 20er bis 60er Jahren“, wiederkommen würde.

 

Höreindrücke von Projecto Sul: http://www.myspace.com/projectosul