12 Mai 2012 - 19:30
Haus der Begegnung St. Claret Weißenhorn
Konzertkritik von Helmut Kircher in der Augsburger Allgemeinen (Lokalteil Günzburg) vom 14. Mai 2012: Den inneren Funken entfachtZum Jubiläum präsentierte Camerata Vocale die Lieblingslieder aus 25 Jahren ambitioniertem Chorgesang
Zur Eröffnung der Festivalwoche „Musikalischer Frühling“ stellte die camerata vocale unter Leitung von Jürgen Rettenmaier im Kaisersaal des Klosters Wettenhausen ihre Lieblingslieder vor. (Foto: Helmut Kircher)
Wettenhausen. Der kalendarische Frühling machte just einen Tag Pause, coolte down und bot stattdessen dem musikalischen Teil des Lenzes Gelegenheit, chorisch laue Lüfte wehen zu lassen. Mit einem fulminanten Auftaktkonzert zur Festivalwoche ihres 25. Gründungsjubiläums machte die camerata vocale Günzburg den Kaisersaal des Klosters Wettenhausen zum Tummelplatz von Lebensdurst und Sangeslust.
Liebes- und Lieblingslieder aus einem Vierteljahrhundert camerata vocale standen auf dem Programm. Vokale Welt- und Lebenserfahrung, vorwiegend in Dur und ohne Dissonanzen, so stellte es, pointenreich, charmant und eloquent aus dem Nähkästchen plaudernd, Sängermoderator Georg Hopfenzitz dar. Musikalisch meist in Harmonie mündend, aber, schließlich war man jung und verliebt, in Ausnahmefällen auch im Hafen der Ehe. „Man sieht, singen kann sehr gefährlich sein“ Wer nennt die Länder, zählt die Städte, in denen die camerata zu Gast war.
Chorfreundschaften entwickelten sich insbesondere mit Gleichgesinnten in Spanien und Ungarn, denn globalisiert gesehen sprach man eine Sprache: die der Musik und der Liebe. Nicht zuletzt deshalb wurden Johannes Brahms’ „Liebesliederwalzer“ zu einer Art Schlüsselerlebnis, das, frisch koloriert und mit geradezu schwärmerischer Sangesfrömmigkeit, auf den Flügeln des Dreiertakts in die romantische Abendröte am wehmutsschwangeren Lust- und Liebeshimmel über dem klösterlichen Rokokosaal geschickt wurde.
Souverän zelebriert
Souverän zelebrierte Jürgen Rettenmaier die Klanggestik dieses Kaleidoskops aus Liebesglück und -leid, lustvoll und aus flott bewegter Seele. Mit rückhaltloser Vitalität ließ sich seine camerata zu graziöser Gralshöhe animieren. Marie-Therese Finkler und Markus Putzke modellierten am Klavier, als vierhändige Seelengefährten, virtuos mit. Rettenmaier, die „Verkörperung des idealen Pädagogen“, wie Hopfenzitz es formulierte, vermag es, den „inneren Funken“ zu entfachen und damit „die Tiefe der Seelenräume zum Klingen zu bringen“. Doch nicht nur mit Brahms.
Die Palette der Highlights reichte vom Volkstümlichen bis zum modern Pop. Beim Rhythmus geprägten columbianischen „Prende la Vela“ mag der Hinweis genügen, dass es bei einem Hochzeitsständchen gesungen wurde. Nicht so bei den fetzigen Gospels und Spirituals, bei denen die rhythmisch emotionale Vehemenz bereits ins afrikanische Stammbuch geschrieben steht. „El Rossinyol“, heimliche Nationalhymne der Katalanen, oder Kódlays „Esti dal“ bergen zu Herz und Gemüt gehendes Erinnerungspotenzial des Chors an längst vergangene Reiseromanzen. Brahms’ Opus 62 dagegen schwelgt, romantisch verklärt und sternensüß, in Waldesnachteuphorie, heimisch, doch sanglich nichtsdestoweniger ein schmerzlich schöner Schwebezustand auf zarter Schlummerwolke.
Aus seligen Cameratten-Zeiten mit dem Experimentellen Theater Günzburg grüßte, krabbelnd und zappelnd, hitzelnd und bitzelnd, ein „Floh“, und mit dem ergreifenden, von schwingender Schlichtheit inspirierten „O Danny boy“ wurde derer gedacht, die „nicht mehr unter uns weilen“ – „until you come to me“. Den Schlusspunkt setzte zeitgenössischer Sound nordischer Klänge, melancholisch leuchtend, poppig akzentuiert, zuweilen harmonisch vertrackt, doch rhythmisch ansteckend. Ein chorischer Kulturtransfer, nicht gerade musikalische Antimaterie, doch ideenreich, manchmal sogar mit selbstironischem Lächeln.
Zu den Blumen des benachbarten Kulturcafés gab’s vehementen Jubel, der, so ist zu hoffen, sich auch auf den Rest der hochkarätigen Beiträge dieser Festivalwoche übertragen wird.