Foto: Helmut Kircher

Mit Frank Martins Messe für Doppelchor, aufgeführt in der St.-Martins-Kirche Günzburg, setzt die Camerata vocale ein Zeichen sakraler Klangkunst.

von Helmut Kircher (Günzburger Zeitung, 27.11.2018)

Gleich vorweg bemerkt: Eine Stunde Chormusik vom Allerfeinsten war das, was die Camerata vocale da am Sonntag in der Günzburger St. Martins-Kirche präsentierte. Vokalkultur auf Spitzenniveau. Und dementsprechend schwer. Aber ungemein lohnend.

Nein, der Schweizer Komponist Frank Martin (1890-1974) macht es den Sängern seiner doppelchörigen A-cappella-Messe weiß Gott nicht leicht mit seiner modern-archaischen Tonalität, mit seiner eindringlich-stimmungsgesättigten Musiksprache. 1922 schrieb er, 22-jährig, den ersten Teil seines Werkes ohne das Agnus Dei. Das lieferte er vier Jahre später nach, um es dann in seiner Vollkommenheit unglaubliche 40 Jahre in der Schublade vor der Öffentlichkeit verborgen zu halten. Keine Aufführung, kein Druck.

Warum? Zu „privat“ für seine calvinistisch geprägte Gläubigkeit fand er, rein „Eine Sache zwischen Gott und mir“. Am 2. November 1963 erst erlaubte er in Hamburg die Uraufführung. Sie sollte zum Grundstein werden für das wahrscheinlich beliebteste und wohl auch klangschönste sakrale A-cappella- Chorwerk des 20. Jahrhunderts und darüber hinaus.

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Zwar weitab jeglicher romantischer Anklänge, kommt es konventionellen Hörgewohnheiten durchaus entgegen, stellt aber nicht geringe Anforderungen an den ausführenden Chor plus Dirigenten. Komplexe Harmoniewechsel, lupenrein intonatorische Fähigkeiten, füllige Basstiefen, strahlkräftige Sopranhöhen, und für die langen Phrasen einen ebenso langen chorischen Atem, mit der Fähigkeit, derartige Linien ohne Klanglöcher zu bewältigen.

Der Dirigent verbreitet keinen Druck und keine Hektik
Disziplin ist die Tonart und dynamische Kontrolle die Taktvorgabe für eine Bandbreite, die, unter der penibel formenden Hand des Chorleiters, alle Anforderungen des Gesamtklangs in Einklang bringt. Die die mitreißende Inbrunst der Vokalisten hörbar macht, mit der sie quasi jeden Ton direkt aus dem Herzen herausempfinden.

Jürgen Rettenmaier lässt die Sätze frei fließen, ohne Druck und Hektik zu verbreiten, findet zu nuancierter Deutung im qui tollis des Gloria, im et resurrexit des Credo, gestaltet ganz nah am Text, was so manche Stelle vokalelegisch wunderschön aufblühen lässt. Akribisch leuchtet er das Zerbrechliche und Zarte aus, geht erkennbar einen eigenen interpretatorischen Weg. Ergreifend, wie er, auf innig weichem Klangfluss schwebend, ins Sanctus einführt, bevor er dann, mit klangmystisch aufschwingenden Steigerungsbögen, in raumfüllende Glockenschwall-Tonalität eintaucht. Schlicht, prächtig, strahlend. Streichelzart in harmonischen Klang gebettet bis zum betörend melosschmelzenden Amen-Aushaucher.

Vor dem Hintergrund dieser doppelchörigen Sakralfestigkeit jenseitiger Art, gelingt es dem Ensemble auch in den dazwischen geschobenen Werken irdener Form, sein Maß an bezwingender Ausdrucksstärke beizubehalten. Wobei die Kantate „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ von Heinrich Schütz, eingeschoben nach dem Gloria, noch die sakrale Messaura wahrt, bei Johannes Brahms’ patriotisch-kaiserhöriger Selbstbefriedigungs-Motette „Wo ist ein so herrlich Volk“ aber Frank Martins „archaisch“ spiritueller Stilistik doch etwas ihren Fluss nimmt.

Mit Arvo Pärts drei Magnificat-Antiphonen baut die Camerata einen tonalen Dom aus harmoniesatten, pathetisch aufgeschichteten Akkordbausteinen und mit der Marienhymne „Ave maris stella“ aus der Feder von Camerata-Eigengewächs Markus Büchele (*1969), einen melancholie-beflügelnden Verehrungszauber gehobenster Gottesmutterweihen. Auf sanften Klangwolken aus dem Jenseits leuchtend, mal in sakralem Tiefgang verankert, mal ausschweifend in überirdisch lichtdurchfluteter Lobpreisung aufgehend.

Zum Finale nimmt Eriks Esenvalds (*1977) die Zuhörer auf Klangerkundung mit, zum Rendezvous mit tonalen Freiheiten aus filigraner Abstraktion und vokalem Individualstil, durchblutet von Glasmusiksound, traumutopisch eintauchend in Höhennebel aus Herz, Feuer und Erhabenheit.

Quelle:
https://www.augsburger-allgemeine.de/guenzburg/Chormusik-vom-Allerfeinsten-id52793446.html